"Technologie muss sich in eine gewachsene Struktur einfügen"

Dr. Jochen Hanselmann ist Autor der Neuerscheinung Potenziale strategisch erschließen. Mit ihm sprach Michael Rohn, Verlagsleiter bei LOG_X.

LOG_X: Im Untertitel Ihres aktuellen eBooks wird angedeutet, dass Technologien beherrscht werden sollten. Könnten Sie das bitte kurz erklären.

Jochen Hanselmann: Technologie, um der Technologie willen hat noch nie funktioniert. Wenn ein Unternehmen – durch welche Mechanismen oder Muster auch immer – eine neue Technologie oder neue Fertigungsverfahren einsetzt, kann es schnell außer Tritt kommen. Warum? Weil sich die Balance, zumindest kurzfristig, verändert. Um die Balance wiederherzustellen, muss man in der Lage sein, technologische Systeme und andere Fertigungstechnologien bewusst „hinzustellen“ – ohne Gefahr zu laufen, dass sich die Teilequalität, Anlagenverfügbarkeit o.ä. signifikant ändert. Wenn wir ein neues Handling- oder Zuführsystem vorschlagen, müssen wir sicher sein, dass es auch eine deutliche Verbesserung bringt, robust funktioniert und zu 100% taugt.

LOG_X: In Ihrem eBook widmen Sie sich u.a. auch dem Thema Strategieprogramme. Weshalb?

Jochen Hanselmann: Unternehmen kranken häufig daran, dass das Management denkt, es müsse nur an diesem einen Hebel etwas ändern – und dann sei alles gut. Das ist definitiv nicht so. Denn es handelt sich in einem Unternehmen um komplexe Systeme, die man verstehen muss. Es genügt nicht, in der Entwicklung mit Veränderungen zu beginnen und die Produktion nicht mitzunehmen. Und wenn man feststellt, dass Kunden andere logistische Prozesse und/oder eine schnellere Belieferung wollen, so hat dies sofort Auswirkungen auf das Bestands- und Chargenmanagement in der Produktion. Um Unternehmen in die Zukunft zu führen, darf man nicht nur punktuell ändern. Man benötigt auch die richtige Technologie und ein Strategieprogramm statt „Try and Error“. Meint: Nicht nur die konzeptionelle Entwicklung einer Strategie, sondern vor allem die schnelle, konsequente und nachhaltige Umsetzung.  

Jochen Hanselmann News

LOG_X: Sie nannten das Stichwort Komplexität. Lässt sich Komplexität heutzutage noch beherrschen?

Jochen Hanselmann: Selbstverständlich! Aber Komplexität beherrschen ist kein Standardprogramm! Überlegen Sie einmal was passiert, wenn Sie ein System nicht beherrschen. Vor geraumer Zeit hatten wir genau dieses Thema bei einem Automobilzulieferer. Dort hatte man ein kleines Bauteil, das nur wenige Cent im Einkauf kostet, zwar in time bestellt, aber nicht just in time in einer Baugruppe ans Band geliefert bekommen. Die Folge war, dass die komplette Produktion eines Premiumfahrzeugs Gefahr lief, gestoppt zu werden. Beim Nachforschen stellte sich dann heraus, dass dieses C-Teil nur bei einem einzigen chinesischen Lieferanten zu beschaffen ist – ein absurdes Risiko entlang der Supply Chain.

LOG_X: Könnten Sie Ihr Konzept in max. drei Sätzen beschreiben?

Jochen Hanselmann: Erstens: Die Analyse aus mehreren Blickwinkeln aufbauen und die Analyseergebnisse zusammentragen. Zweitens: Ein Programm aufsetzen, das sich ganzheitlich mit den Problemstellungen auseinandersetzt. Und drittens: Die Umsetzung konsequent vorantreiben und immer wieder nachsteuern.

LOG_X: Wer sollte Ihr Buch lesen?

Jochen Hanselmann: Auf jeden Fall die Geschäftsführung sowie die leitenden Führungskräfte, wenn sie merken, dass sie sich in einer Sackgasse befinden oder ein Problem entdeckt haben. Schließlich beginnen Optimierungen nie aus einem diffusen Gefühl heraus, sondern immer mit einem konkreten Problem. Anders gesagt: Erst ein erkanntes Problem schafft den Anlass zur Verbesserung. Dabei können Probleme in Unternehmen sehr unterschiedliche Dimensionen haben. Das Spektrum reicht von einem gestörten Materialfluss über Software, die nicht zum Laufen kommt, bis zu kompletten mechatronischen Systemen, die es zu verbessern gilt.

LOG_X: Letzte Frage: Was bringt Sie beim Thema technologische Prozesse so richtig auf die Palme?

Jochen Hanselmann: Wenn mir Leute gegenübersitzen, die von der Applikation oder der Anwendung nicht die geringste Ahnung haben. Die bringen quasi im Koffer ein technologisches Verfahren mit und sagen mir dann: „Es wäre doch super, wenn wir dieses Verfahren hier oder dort einsetzen könnten!“ Dann stelle ich drei Fragen, die sie meist nicht beantworten können, weil sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Denn eine Technologie muss zur DNA des Unternehmens, zum Produkt und zum Produktionssystem passen. Und sie muss sich in eine gewachsene Struktur einfügen. Diese Leute sind, sorry, wenn ich das so hart sage, content-freie Marktschreier.

LOG_X: Besten Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Michael Rohn, Verlagsleiter bei LOG_X

LOG_X Verlag GmbH • Königsallee 43 • 71638 Ludwigsburg

Tel.: 07141-125 610 • Fax: 07141-125 611 • info@log-x.de